Es war einmal... Silvesternacht

  • 2 Jan 2024
  • Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

Es war der letzte Tag des Jahres. Der Schnee lag tief über Weg und Steg. Da war ein kleiner Junge auf den Beinen, neue Schuhe hatte er an, einen grauen Schal und eine rote Zipfelmütze. Sein Name war Hans. Auf dem Rücken trug er einen kleinen Rucksack, darin lag ein Weihnachtskuchen und eine Heilig-Dreikönigskerze welche ihm die Mutter eingepackt hatte. Sie hatte auch an Ermahnungen nicht gespart, denn Hans sollte Großmutter und Großvater besuchen. Er dürfe nicht vergessen schön zu grüßen und zu danken und ihnen von Herzen ein gutes und gesegnetes neues Jahr zu wünschen. Ja, das wolle er schon.

Der Tag des Winters ist kurz. Schneewolken hingen in der Luft. Bald fielen die Flocken still und dicht wie Flaum aus einem großen Federbette. Als Hans ein Stück gegangen war, kam er auf den Gedanken, seine Wanderung durch einen Waldsteig abzukürzen. Immer dichter fiel der Schnee, bald fing es auch zwischen den Bäumen zu dunkeln an. Ehe Hans sich versah, war die Nacht gekommen. Spurlos war der Weg verschwunden. Wenn er bloß Streichhölzer gehabt hätte, würde er die Kerze anzünden um vielleicht so auf seinen Spuren zurückfinden zu können. So aber wusste er sich keinen anderen Rat, als sich unter einen Baum zu setzen und zu warten, bis die Sterne oder vielleicht der Mond hervorkämen.

Wie lange er dort gesessen hat, weiß bloß die Finsternis. Er war schon fast ganz eingeschneit, da sah er auf einmal in der Ferne ein Licht. Hans raffte sich auf und ging dem Scheine nach, bald darauf stand er vor einem Feuer, das so hell brannte, wie er desgleichen noch nie gesehen hatte. Rund um das Feuer saßen zwölf große Männer in weiten Mänteln. Still und ernst, beinahe wie Könige, saßen sie da und starrten in die Flammen. Einige von ihnen hatten Eiskronen auf dem Haupt oder Kränze aus Tannenzapfen, andere hatten grüne Zweige, Blumen oder goldene Ähren um die Stirnen. Der am ältesten schien, hielt einen Stab in der Hand und stocherte im Feuer. Langsam wandte er seinen Kopf. „Kennst du uns?" fragte er. „Das könnte wohl sein", antwortete Hans, denn er glaubte zu verstehen, dass er die zwölf Monate des Jahres vor sich habe. Der älteste, der den Stab hielt war sicher der Dezember; deshalb hatte er auch einen so dunklen Mantel an. „Dann sag's uns doch", ermunterte ihn der Greis, der das Feuer schürte. Und Hans sagte sein Sprüchlein, wie es der Großvater ihn gelehrt hatte.

 

Januar: Eismann, Schnee bis ans Dach hinan.

Februar: helle, kommt an die Schwelle.

März: geht mit Tauen, über Land, über Auen.

April: hat gemolken die Kuh in den Wolken.

Mai: da schallt Kuckuck im Wald.

Juni: hält bereit die Kränze für wunderbare Tänze.

Juli: jetzt locken auf Almen die Glocken.

August: beugt die Ähren, die uns ernähren.

September: reift Obst für Pfarrer und Probst.

Oktober: greift an deinen Schober.

November: kehrt aus, Wind um das Haus.

Dezember: Advent, Kerzlein schon brennt.

Der Greis mit dem Stock nickte beifällig. „Da du uns kennst" sprach er, „kennen wir dich auch. Rechtzeitig bist du gekommen, denn heute Nacht, wo das alte Jahr um ist, können wir deine Hilfe wohl gebrauchen. Siehst du, wie klein das Feuer geworden ist? Pass gut auf, was geschieht, wenn ich den Stock an Bruder Januar weiterreiche. Schlüpfe schnell unter seinen Mantel, dann wirst du sehen, wie das neue Jahr von den Sternen herabsteigt. Dann spute dich und hole uns mit deiner Kerze neues Feuer. Denn binnen kurzer Zeit wird das alte Feuer ausgehen." Wie der Alte das gesagt hatte, begann es in den Lüften zu klingen, als läuteten mächtige Glocken. Der Klang kam von fern und nah und schien über alle Länder und Reiche der Erde zu gehen.

Dezember richtete sich auf, hob den Stab und rief mit lauter Stimme:

„Nun, Bruder, geht der Stab von Hand zu Hand, dieweil die Neujahrsglocke läutet übers Land. Es segne Gott, der in den Himmeln thronet, nun alles, was in Erdentiefen wohnet."

Während er das sprach, war Hans unter den Mantel von Januar geschlüpft, der ihn wie ein großer weißer Nebel umhüllte. Oben leuchteten und glitzerten die Sterne hindurch, unten rührten sich alle Samen und Keime, und ein kleines feines Volk mit Laternen in den Händen kam heran. „Hier kommen wir mit dem neuen Jahr", sagten sie. Und wahrlich, als Hans hinschaute, lugten auch aus allen Wurzeln kleine Gesichter hervor. Es war ihm, als ob Wichte und Elfen Hochzeit feierten. Hans wurde von solchem Staunen erfasst, dass er beinahe seinen Auftrag vergessen hätte. Aber da merkte er, dass die Heilige-Dreikönigskerze bereits brannte. Einer der kleinen Wichte hatte sie angezündet. Hans hielt die Hand schützend vor die Flamme und schlich wieder unter dem Mantel hervor. Da war nur noch eine kleine Glut vom Feuer des alten Jahres übrig. Jetzt reichte Dezember den Stab an seinen Bruder Januar, und dieser nahm das Licht, das Hans in seiner Hand hielt und zündete damit das neue Feuer an. Gewaltig loderte die Flamme auf, das Licht wurde so mächtig, dass Hans seine Hände schützend vor die Augen halten musste.

Als er wieder zu sich kam, waren das Feuer und die zwölf Monate nicht mehr da. Das Wetter aber hatte sich aufgeklärt und über den Baumwipfeln stand der Mond rund und voll. Hans machte sich wieder auf den Weg. Im Mondlicht war es leicht, den Spuren im Schnee zurück zu folgen, und dort - geradeaus lag das Haus der Großeltern.

Im Dunkeln war er am Zaun vorbeigegangen „Glückliches neues Jahr", grüßte Hans, als er über die Türschwelle in die warme Stube trat. Da haben sich wohl die alten Leute gewundert und gefreut, denn gerade wollte der Großvater in den Wald gehen und Hans suchen. Die Großmutter hatte warme Milch mit Kandiszucker auf dem Herd, aber Hans war so müde, dass er kaum schlucken konnte. Da meinte die Großmutter, er solle lieber ins Bett gehen. Hans murmelte: „Ich glaube, der Weihnachtskuchen ist ganz, aber die Heilige Dreikönigskerze wohl kaum, denn mit der habe ich neues Feuer für die zwölf Monate geholt“. Und alsbald fiel er in tiefen Schlaf.

Startet gut ins neue Jahr, beste Gesundheit und alles Liebe wünscht euch

Katrin Bamberg

 

Öffentliche Erzähltermine:

Donnerstag, 04.01.2024 19 Uhr, Theater der 2 Ufer - Rauhnacht

Freitag, 12.01.2024 19 Uhr,  Kirche Sand - Wunschpunsch

Mittwoch,17.01.2024 20 Uhr, Reithalle Offenburg - Märchen für Erwachsene

Sonntag, 21.01.2024 15 Uhr, Theater der 2 Ufer - Wintermärchen

Mittwoch, 24.01.2024 16 Uhr, Mediathek Kehl- Vom frostigen Winter

Freitag, 16.02.2024 19 Uhr, Kirche Sand-  Wunschpunsch

Sonntag, 18.02.2024 15 Uhr, Theater der 2 Ufer-  Wintermärchen

Sonntag, 18.02.2024 18 Uhr, Bad Peterstal-  Klangraum Kirche

Sonntag, 24.02.2024 15 Uhr, Kehl LOLO-  Märchenstunde für Familien

Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

Kommen Sie mit auf eine Reise ins Reich der Kobolde und Prinzen, in die Welt der Waschweiber und zornigen Riesen, an knisternde Indianerfeuer, in die Wälder der Drachen und ihrer Bezwinger. Hören Sie schon das Quietschen alter Türen oder das frohlockende Zirpen des Zaubervogels? Riechen Sie Zauberkräuter, die frische Brise an einem entlegenen See, den weihnachtlichen Duft nach Äpfeln und Zimt in gemütlichen Stuben? Ich entführe Sie in die Welt der Märchen. Die Fäden alter, längst vergessener Geschichten spinne ich neu, und bekannten Sagen und Erzählungen verleihe ich zu neuem, noch ganz unbekanntem Glanz. Das sich unablässig drehende Spinnrad spinnt einen schier nicht enden wollenden Geschichtenstrang. Märchen , Sagen , Geschichten erzählt man sich überall Ideale Orte und Gelegenheiten für Geschichten : Kindergärten Kliniken Geburtstage Schulen Altenheime Hochzeiten